Hier erzählt Sandra Lüpkes: "Juister Weihnacht und Neujahr".
"Als kleines Mädchen lebte ich im großen, backsteinernen Pfarrhaus in der Wilhelmstraße, gegenüber dem Friedhof. Der Tag und die Woche, im Grunde das ganze Jahr teilte sich für uns Pastorenkinder ein in das Geläut der Juister Kirchenglocken.
Drei Glocken hängen dort oben im Turm, die Herrenglocke in a, die Sterbeglocke in c und die Betglocke in d. Man sieht sie nie und hört sie ständig: morgens um acht, mittags um zwölf und abends um sechs. Sonntags um zehn und um elf. Zudem bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen. Die Glocken geben bescheid und schallen – je nach Windrichtung – kilometerweit über die Insel.
Das schönste Glockengeläut jedoch war für mich immer das zum neuen Jahr. Wir Kinder durften Silvester aufbleiben und dann unseren Vater zur Kirche begleiten, wo wir den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr verfolgten, bis der kurz davor war, sich mit dem Minuten- und dem Stundenzeiger ganz oben im Zifferblatt zu treffen. Dann wurden die Schalter umgelegt. Alle drei nacheinander. Man hörte die Mechanik, die das Signal zum Turm sandte. Einen Wimpernschlag später begann das Geläut. Wir gingen nach draußen, wo inzwischen Böller krachten, und erst dann, unter freiem Himmel, wünschten wir uns ein frohes neues Jahr.
Wenn ich heute auf Juist bin, nehme ich immer mindestens einmal das Glockengeläut auf und schicke es per Handy an meine Familie, die inzwischen im Münsterland und in Freiburg, in Braunschweig und Paderborn lebt. Ohne weiteren Kommentar, denn sie wissen, was ich mit diesem Gruß meine.
Auch Weihnachten 2020 und zum Jahreswechsel 21 werden auf Juist die Glocken läuten. Und Böller krachen. Und Winde wehen. Und Möwen lachen.
Selbst wenn wir nicht da sein dürfen, man kann sie hören. Erinnerungen klingen nach."